
Wer einmal einen Windelsack in den Mülleimer getragen hat, weiß, dass bei den meisten Kindern in sehr kurzer Zeit sehr viele Windeln gebraucht werden. Woher kommt überhaupt das Wickeln der Kinder und gibt es wohl eine Alternative dazu?
Für das Bambolino haben wir mit Regina Rundel gesprochen, einer zertifizierten Windelfrei-Beraterin. Sie gibt uns Einblicke in ihre Arbeit und die Philosophie hinter dem Konzept „windelfrei“.
Ihre Kinder, so schreiben Sie auf Ihrer Homepage, sind seit der Geburt windelfrei. Was genau bedeutet das, und was ist die Idee hinter „windelfrei“?
Viele kennen die Situation: Das Baby liegt auf dem Wickeltisch, Windel wird abgemacht und schon pieselt es los! Ein schönes Beispiel dafür, dass Babys frei ausscheiden möchten und auch einhalten können.
Windelfrei bedeutet aber nicht automatisch, dass man ganz ohne Windel auskommen muss. Es geht vielmehr um die Kommunikation über die Ausscheidungen des Kindes. Genau wie wir auf Hunger, Müdigkeit oder Weinen reagieren, können wir auch auf die Signale des Kindes bei der Verdauung eingehen. Es spürt all diese Bedürfnisse und teilt sie uns mit.
Wir Eltern reagieren natürlich auf Hunger und Bedürfnis nach Nähe oder Schlaf, aber das nach freiem Ausscheiden wird oft lange hinten angestellt. Unter anderem ist so auch der Mythos über die Schließmuskelkontrolle entstanden: Es heißt, dem Kind fehle die Kontrolle bzw. die Beobachtung, wann es muss. Doch eigentlich ist nur die Kommunikation verloren gegangen – wir Eltern haben verlernt, die Signale des Kindes zu verstehen und zu reagieren. Dazu kommt, dass die Kinder durch hohe Saugkraft der modernen Windeln nicht mehr spüren, wenn sie sich einnässen. Ihnen geht der Zusammenhang zwischen Erleichtern und den Folgen verloren.
Wie funktioniert windelfrei praktisch?
Das Abhalten des Kindes – also das Halten des Kindes über ein Gefäß oder Töpfchen oder draußen in ein Gebüsch– ist ein zentraler Bestandteil. So kann das Kind bequem ausscheiden, ohne dass es in eine Windel machen muss. Das ist eine natürliche Methode, die in vielen Kulturen seit jeher praktiziert wird.
Historisch gesehen ist das Abhalten von Kindern keine neue Erfindung – es wurde schon in alten Ratgebern beschrieben. Was dagegen neu ist, ist die Wegwerfwindel. In Deutschland hat sich die Nutzung von Wegwerfwindeln erst ab den 70er Jahren langsam verbreitet. In vielen anderen Kulturen, wie etwa in China, gibt es spezielle Hosen mit Schlitz, die das Abhalten erleichtern. Dort ist es völlig normal, wenn Kinder windelfrei aufwachsen.
Die Windelfrei-Bewegung hat sowohl ökologische als auch ressourcenschonende Aspekte, da Einwegwindeln ein großes Umweltproblem darstellen. Wenn ein Kind drei Jahre gewickelt wird, dann können bis zu 6000 Windeln zusammenkommen. Das ist sowohl ein ökologischer Faktor als auch ein ökonomischer – also ein ziemlicher Kostenfaktor.
Ist windelfrei gleichzusetzen mit Windelentwöhnung oder Trockenwerden? Welche Vorteile hat ein windelfrei aufwachsendes Kind?
Windelfrei ist nicht dasselbe wie Töpfchentraining. Es geht um Körperwahrnehmung und Begleitung ohne Druck. Kinder lernen nicht erst, aufs Töpfchen zu gehen, wenn sie müssen – sie können es eigentlich von Anfang an. Wenn Eltern auf die Signale des Kindes reagieren, bleibt diese Fähigkeit erhalten. Ein windelfrei aufwachsendes Kind verlernt diese Fähigkeit also nicht und muss sie später nicht oft mühsam wieder umtrainieren. Das klappt natürlich mal besser und mal schlechter. Das ist wie beim Laufenlernen: Manchmal fällt das Kind hin, obwohl es das kann oder ist müde und wir tragen es dann eine Weile. Deshalb kann ein windelfrei aufwachsendes Kind durchaus auch gewickelt werden.
Sie haben sich zum Windelfrei-Coach zertifizieren lassen. Was mussten Sie dafür tun, und wie lange sind Sie schon als Beraterin aktiv?
Ich habe eine Zertifizierung absolviert, in der ich auch viele wissenschaftliche Fakten kennenlernen durfte. „Windelfrei-Beraterin“ ist aber kein geschützter Begriff. Meine Erfahrung schöpfe ich vor allem aus der Erfahrung mit meinen eigenen Kindern und meiner beruflichen Laufbahn als Pädagogin. Seit 2009 arbeite ich mit Kindern von null Jahren bis ins Jugendalter, zuletzt in Krippen und Kitas. Als Windelfrei-Beraterin bin ich seit 2022 aktiv und biete Online-Beratungen über Videocalls, Gruppenkurse und Einzelgespräche an. Dazu auch offene Windelfreitreffen – eine gute Gelegenheit, entspannt das Konzept kennenzulernen oder sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen!
Interview Arnd Rüttger
Regina Rundel ist Pädagogin, dreifache WindelFrei-Mama und zertifizierte WindelFrei-Beraterin. www.minimenschmuse.de