Vorlesen schafft Nähe
Wie man Kinder – und ihre Eltern – für Bücher begeistert
Ein Leben ohne Bücher? Geht gar nicht. Melanie Dirauf und Christiane Weiß brauchen keine Interviewfragen, um sich angeregt über ihr Lieblingsthema auszutauschen. Ihre Begeisterung für das Lesen ist für sie mehr Berufung als Beruf, und das wollen sie weiter geben, gerade an Kinder und junge Menschen.
„Wir versuchen für alle Kinder in der Stadtbücherei eine Lesesozialisation herzustellen, mit dem Ziel, dass das Lesen sie ein Leben lang begleitet“, erklärt Christiane Weiß die Grundlagen ihrer Bücherei-Arbeit. Hinter diesem Satz verbirgt sich eine Vielzahl von Programmen zur Leseförderung, die aufeinander aufbauen: angefangen bei den jüngsten „Lesemäusen“, für die die Bücherei Veranstaltungen mit ihren Eltern und auch Großeltern anbietet, bis zu „Lesen was geht“, dem Sommerferien-Leseclub für Jugendliche bis 18 Jahren. „Über die Programme stellen wir Erlebnissituationen her und pflegen die persönlichen Kontakte“, erklärt die Bücherei-Leitung. „Diese Erlebnisse und Begegnungen machen die Leseförderung in der Bücherei so wichtig.“ So erleben kleine Kinder bis 2,5 Jahren bei den „Lesemäusen“ eine erzählte Geschichte auf dem Schoß der Eltern oder auch Großeltern. Christiane Weiß: „Dieses Erlebnis nehmen die Kinder ganz intensiv wahr, und parallel zeigen wir den Erwachsenen dabei, wie man mit Kleinkindern erste Bücher lesen kann.“ Melanie Dirauf ergänzt: „Jeder kann vorlesen und jeder darf sich auch trauen, vorzulesen. Das Wichtigste ist das innige Erlebnis mit dem Kind, das der vertrauten Stimme lauscht.“ Auch die Diözesanbibliothekarin bestätigt die hohe Bedeutung der Erlebnisse im Zusammenhang mit Büchern: „Es zeigt sich nach jeder Autorenlesung in allen unseren Gemeinde- und Pfarrbüchereien, wie positiv die Kinder solche Besuche aufnehmen. Da nimmt sich jemand Zeit für sie und beschäftigt sich kreativ mit ihnen. Wir messen das u.a. auch daran, dass im Anschluss an solche Veranstaltungen immer alle Bücher dieser Autoren ausgeliehen sind.“
Warum Lesen gut tut
Regelmäßiges Lesen hat auf Kinder gleich welchen Alters positive Auswirkungen z.B. durch den Erwerb eines großen Wortschatzes und das damit verbundene Ausdrucksvermögen. Jüngst belegte eine Studie zudem, dass lesende Kinder auch mehr Einfühlungsvermögen für andere entwickeln. Christiane Weiß weist auf einen weiteren Aspekt hin: „Wir möchten den Kindern einen gesunden Medienmix vermitteln und ihnen verschiedene Medien anbieten, aber auch Dinge, die das Elternhaus nicht mehr schafft. So gehören zu unseren Lesenachmittagen für KiGa-Kinder auch immer Bastelaktionen. Die Eltern machen mit und erleben dabei häufig zum ersten Mal, was sich im gemeinsamen Tun mit den Kindern entwickeln kann. Die Kinder heute basteln viel zu wenig, und das wirkt sich nachteilig auf ihre motorische Entwicklung aus, z.B. eine Schere richtig zu halten, aber auch auf ihre intellektuelle, wie z.B. das mathematische Verständnis.“
Die vertraute Stimme von Mama oder Papa
Auch das Anfassen und Umblättern von Buchseiten gehöre als wichtiges Element dazu betont die Büchereileitung. Deshalb könnten die digitalen Medien niemals die Beschäftigung mit einem Buch ersetzen. „Darum sind E-Books nichts für Kleinkinder: Bilderbücher müssen aus Papier sein und zum Anfassen. Ohne Animation, sondern mit der Stimme von Papa oder Mama, und das Kind muss – besser: darf! – im Kopf die Bilder selbst animieren, in die Rollen schlüpfen und selbst Regisseur sein.“ Auch Melanie Dirauf schlägt in die gleiche Kerbe: „Lesen ist eine Schlüsselqualifikation – wer das nicht beherrscht, kann auch kein Handy richtig bedienen oder im Internet unterwegs sein.“ Dafür müssten die Eltern aber auch das ‚Wischkästla‘ öfter mal aus der Hand legen, fordert Christiane Weiß: „Früher hat man beim Spazieren gehen mit den Kindern im Kinderwagen geredet, heute haben viele dabei das Handy in der Hand. Diese so genannte „Sprachdusche“ für die Kinder durch das Reden der Eltern mit ihnen ist aber unheimlich wichtig, damit die Kinder einen Intellekt entwickeln. Darum sind Bilderbücher so hilfreich: Man kann kein Bilderbuch mit den Kindern angucken, und dabei stumm bleiben.“
Vorbilder für das Leben mit Büchern
Beide Frauen empfinden sich und ihre Arbeit als Vorbild gerade für Kinder und Jugendliche und ziehen in Punkto Leseförderung an einem Strang – ohne Einschränkungen. Melanie Dirauf: „Das gemeinsame Ziel ist die Leseförderung und da können Bibliotheken keine Konkurrenz leben.“ Christiane Weiß: „Wir freuen uns, wenn unsere erfolgreichen Konzepte anderswo übernommen werden und sind da gerne mit Tipps und Hinweisen behilflich.“
Mit diesem Engagement gestaltet Melanie Dirauf auch jedes Jahr das umfangreiche Kinder- und Jugendprogramm für das Bamberger Literaturfestival BamLit, das der Michaelsbund organisiert und das 2017 Lesungen in 36 Büchereien in Bamberg Stadt und Land für die junge Lesegeneration anbot. „Wir hatten pro Lesung mindestens 50 Kinder und Jugendliche als Zuhörer“, berichtet Melanie Dirauf. „Bei Autoren wie Paul Maar oder Erhard Dietl kamen sogar mehr als 120 Kinder zu den Lesungen.“ Auch für die Sommerferien-Aktion „Lesen was geht“ konnten Christiane Weiß und ihr Bücherei-Team im vergangenen Jahr 180 Jugendliche zur Teilnahme begeistern. Hinter diesen Zahlen stecke aber auch viel Arbeit, verrät sie. „Da reicht es nicht nur aus, ein paar Flyer in den Schulen zu verteilen, sondern wir gehen dazu auch mit vollgepackten Bücher-Rucksäcken in die Klassen und stellen einzelne Romane vor.“
Am Ende des Gesprächs brechen die beiden Bücherfrauen und Mütter noch eine Lanze für die Bedeutung des abendlichen Vorlesens – auch für Kinder im Grundschulalter, die schon selbst lesen können. Melanie Dirauf: „Das abendliche Vorlesen ist eine intensive Zeit, weil es die Kinder beruhigt und sie sich konzentrieren müssen.“ Und Christiane Weiß ergänzt: „Vorlesen führt Kinder in die Ruhe – das schafft Elektronik nicht. Was Kinder nicht sehen wollen, decken sie ab oder klappen es zu, das ist eine Schutzfunktion. Umgekehrt müssen Dinge da sein, die sie lieben und als Rückversicherung auch berührbar sein. Das ist das Kuscheltier, aber eben auch das Lieblingsbuch, das sie immer wieder aufklappen können.“ Melanie Dirauf: „Vorlesen schafft wichtige Nähe zwischen Eltern und Kind, hilft dem Kind, Gefühle auszudrücken, stärkt das soziale Verhalten, regt die Fantasie an und macht ganz ohne Druck schlau. Vorlesen gibt Sicherheit und heißt Zeit füreinander haben, die Nähe des anderen zu spüren.“
Kerstin Bönisch
Infokasten
Christiane Weiß (56 J., zwei erwachsene Kinder) leitet seit 20 Jahren die Bamberger Stadtbücherei und entwickelte mit ihrem Team u.a. vor 18 Jahren die jährliche Sommer-Leseolympiade für Schulkindern während der Sommerferien. www.stadtbuecherei-bamberg.de
Melanie Dirauf (47 J., drei Söhne zwischen 7-13 Jahren), ist als Diözesanbibliothekarin seit 25 Jahren für den St. Michaelsbund tätig und betreut 102 Büchereien im Erzbistum Bamberg, die sich regional von Hof bis Nürnberg und von Ansbach bis Auerbach verteilen. www.st-michaelsbund-bamberg.de